
Das Stromgesetz und seine Auswirkungen auf die Energiewende
«Kein Thema ist so komplex, dass es nicht auf einer A4-Seite dargestellt werden kann», sagte der damalige Bundesrat Adolf Ogi einst zu Renato Tami in einer Sitzung. Mit einem Schmunzeln über dieses Zitat startet das Interview an einem sonnigen Herbstmorgen im Berner Büro von Solar21 – mit dem Ziel, das neue Stromgesetz auch für Laien verständlich und greifbar zu machen.
Renato Tami, der während seiner 13 Jahre als Geschäftsführer der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (ElCom) mit zahlreichen Bundesräten zusammenarbeitete, ist heute selbständiger Rechtsanwalt und Notar. Seine wertvolle juristische Expertise in Energiefragen bringt er als Beirat bei Solar21 ein.
Renato, was soll das neue Stromgesetz bewirken?
Das Stromgesetz, auch bekannt als «Mantelerlass», wurde in der Volksabstimmung vom 9. Juni 2024 mit 70 % Zustimmung in allen Kantonen angenommen. Dies stellt einen klaren Auftrag dar, die Versorgungssicherheit zu erhöhen, den inländischen Stromanteil auszubauen und unser Energiesystem umzustrukturieren. Gleichzeitig wird die Förderung erneuerbarer Energie vorangetrieben. Konkret bedeutet das: Mehr Solar-, Wind- und Wasserkraft.
Welche spezifischen Massnahmen enthält das Stromgesetz zur Förderung von Solarenergie?
Wenn wir von einer erhöhten Produktion erneuerbarer Energie sprechen, steht vor allem der Solarstrom im Vordergrund. Windenergie wird auch eine Rolle spielen – hat jedoch aufgrund der geringeren Akzeptanz einen schweren Stand. Heute werden bereits 10 % des Schweizer Stroms durch Photovoltaikanlagen produziert. Dies ist zwar erfreulich, aber der Zubau muss weiter voranschreiten. Bis 2035 benötigen wir zusätzliche 35 Terrawattstunden erneuerbare Energie, bis 2050 sogar 45 Terrawattstunden. Für die zukünftige Stromversorgung werden vor allem zwei Technologien eine wichtige Rolle spielen: Wasserkraft und Photovoltaik (PV). Diese grosse Herausforderung bietet der Branche auch grosse Chancen und kann neue Arbeitsplätze schaffen.
Wie fördert das Stromgesetz den Ausbau von PV-Anlagen auf privaten und gewerblichen Gebäuden?
Für grosse PV-Anlagen, etwa in den Alpen, erleichtert das Gesetz die Abwägung zwischen Schutz- und Nutzinteressen. Anlagen ab einer bestimmten Grösse, die in kantonal ausgewiesenen Gebieten liegen, erhalten grundsätzlich Vorrang vor Umweltinteressen. Dies setzt den bestehenden «Solarexpress» fort.
Bei kleineren Anlagen schreibt das Gesetz vor, dass beim Bau neuer Gebäude mit einer Gebäudefläche von mehr als 300 m² Solarpanels auf den Dächern oder an den Fassaden installiert werden müssen.
Welche direkten Vorteile ergeben sich für unsere Kund:innen?
Für institutionelle Liegenschaftsbesitzer:innen sind vor allem die erweiterten Möglichkeiten für den virtuellen Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV)* ab 2025 und die Lokalen Elektrizitätsgemeinschaften (LEG)**, voraussichtlich ab 2026, sehr interessant. Dadurch können sie die Stromversorgung auf Basis von Erneuerbarer Energie in ihren Liegenschaften bereitstellen und somit einen aktiven Beitrag zur Energiewende leisten. Dies steigert die Attraktivität ihrer Liegenschaften und bietet auch auf der finanziellen Seite grosse Vorteile, da der Strom aus der eigenen Anlage stammt und dadurch kalkulierbarer ist. So lassen sich die Themen Nachhaltigkeit und Rendite optimal verbinden.
Die Mieter:innen profitieren vom Vorteil, dass sie Strom aus einer erneuerbaren Quelle beziehen – und das direkt vom Dach. Dadurch werden die Kosten auch für sie kalkulierbarer. Zusätzlich wird sichergestellt, dass Solarstrom nie teurer sein darf als vom lokalen Versorger. Bei Solar21 können sie ausserdem aus drei verschiedenen Stromprodukten auswählen, um die eigene CO₂-Bilanz zu verbessern und gleichzeitig einen Beitrag zur Energiewende zu leisten – je nach Wunsch aus reinem Solarstrom oder in Kombination mit Wasser und Wind.
Inwiefern ist dieses Gesetz nun der Durchbruch der Energiewende?
Das Gesetz ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Die darin definierten Ziele sind berechtigt, da wir die fossilen Energien Öl und Gas ersetzen wollen, die rund zwei Drittel unseres Gesamtenergieverbrauchs ausmachen. Zudem eignen sich die vorgesehenen Massnahmen dafür, diese ambitiösen Ziele zu erreichen. Ich denke da vor allem an die besseren Rahmenbedingen für die Realisierung von Projekten, die erneuerbare Energien fördern. Z. B. grosse PV- und Wind-Anlagen, aber auch andere Massnahmen wie die erweiterten Möglichkeiten zum ZEV oder für die LEG.
Eher kritisch dagegen beurteile ich, dass wir den Mut für eine vollständige Liberalisierung des Strommarktes nicht hatten. Für mich persönlich eine verpasste Chance. Dies hätte den richtigen Anreiz für die Realisierung der Ziele gegeben. Problematisch ist ausserdem, dass im Gesetz für die LEG eine Netzpreis-Reduktion von maximal 60 % vorgesehen ist – der Verordnungsentwurf der Vernehmlassung jedoch nur noch einen Abschlag von 15 bzw. 30 % zugesteht. Hier muss bis zur Einführung 2026 sicherlich nachgebessert werden.
Wichtig ist nun, dass die Ziele und Massnahmen des Gesetzes auf Projektebene umgesetzt werden. Ein umfassendes Gesetz nützt nichts, wenn Projekte an Einsprachen oder anderen Umständen scheitern. Beispiele hier sind umstrittene Wasserstrom-Projekte wie die Staumauer am Gornergletscher oder die mit Einsprachen blockierten PV-Projekte «Morgeten-Solar» und «Grengiols-Solar». Des Weiteren kann es Schwierigkeiten mit PVA-Bewilligungen in Städten geben, da schweizweit keine einheitlichen Vorgaben bestehen.
Hätte eine vollständige Liberalisierung des Strommarktes aus deiner Sicht den Durchbruch stärker gefördert?
Die volle Liberalisierung hätte neue Innovationskraft gebracht. Diesen zusätzlichen Innovationsschub erhält man nur durch echten Wettbewerb. Die jetzige Teilliberalisierung mit Fortbestand des Monopols bedeutet für mich ein abgeschotteter Markt. Dies ist nicht nur aufwendig im Vollzug, sondern auch hemmend für die Entwicklung von neuen Technologien. Wettbewerb bringt immer Innovation und Effizienz – während Monopole diesen Prozess blockieren.
Welche rechtlichen Herausforderungen bestehen trotz des neuen Stromgesetzes für die Solarbranche?
Einerseits sehe ich da die bereits erwähnte Umsetzung für die LEG Netzpreis-Reduktion. Diesbezüglich muss der Bundesrat in der im November erscheinenden Verordnung die richtigen Anreize setzen, damit die LEG zum Fliegen kommen.
Des Weiteren braucht die Umsetzung der Energiewende auch finanzielle Mittel. Wichtig ist, dass vorhandene Gelder für Projekte eingesetzt werden, die einen tatsächlichen Beitrag zur Energiewende leisten und ohne die finanzielle Unterstützung nicht realisiert würden.
Welche Projekte und Trends werden nun vermutlich stärker gefördert?
Wir streben mit dem Gesetz sehr ambitiöse Ziele an. Daraus erfolgt, dass wir im urbanen Bereich jede sinnvolle Fläche für die Produktion von Solarstrom nutzen müssen. Darüber hinaus werden auch grössere Freiflächenanlagen und sinnvolle Windparks verwirklicht. Diese liefern insbesondere im Winter viel Strom und helfen, die sich im Winter abzeichnende Versorgungslücke zu überbrücken.
Wie siehst du die Zukunft der Schweizer Solarenergie in den nächsten zehn Jahren dank des neuen Stromgesetzes?
Ich bin überzeugt, dass wir die Stromziele erreichen können – dies bedarf allerdings grosser Anstrengung aller Stakeholder. Die Zukunft der Schweizer Energieversorgung wird auf zwei Standbeinen ruhen: einerseits auf der bewährten Wasserkraft, die uns auch in den Nächten und im Winter versorgt, und andererseits auf der Solarenergie, die eine zentrale Quelle erneuerbarer Energie darstellt. Und wie ich hier auf der Website von Solar21 zitiert werde: Für mich verkörpert Solar21 schon heute die Zukunft der Energiewende.
Vielen Dank, Renato, für deine Zeit und die spannenden Einblicke.
Beirat Renato Tami im Interview mit Melanie Haueter, Leiterin Marketing und Kommunikation.
Renato Tami ist ein Schweizer Rechtsanwalt und Notar mit jahrzehntelanger Erfahrung im Energierecht. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Zürich und der Anwalts- sowie Notariatsprüfung im Kanton Uri, arbeitete er in verschiedenen leitenden Positionen im Bundesamt für Energie (BFE). Von 2008 bis 2021 war er Geschäftsführer der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (ElCom). Heute leitet er die Advokatur Tami GmbH und ist Verwaltungsrat sowie Beirat in mehreren Unternehmen, darunter die Solar21 AG. Er ist zudem Mitherausgeber und Mitautor des mehrbändigen Kommentars zum Energierecht.
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Fachbegriffe einfach erklärt
ZEV* (Zusammenschluss zum Eigenverbrauch)
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